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Sanierung der Villa Seeblick

Vom 50 Liter zum 6 Liter Baudenkmal

Es genügt nicht mehr einem Baudenkmal ein neues Kleid zu verpassen. Es genügt schon gar nicht, das Denkmal nach musealen Grundsätzen zu restaurieren, vielmehr muß es zukünftig sowohl wirtschaftlichen wie auch baukulturellen Ansprüchen gerecht werden. Ein hoher Anspruch.

Der erste Schritt: Zustandsanalyse - Gebäudediagnose

Der Zustand, der in bester Lage gelegenen Villa Seeblick Heringsdorf ließ mehr als zu wünschen übrig. Nur durch die gründliche Untersuchung, d.h. einer Gebäudediagnose, wurde ein nachhaltiges Konzept möglich. Die Einschätzung der Immobilie erfolgte durch den Experten mit der "Gebäudediagnose idi-al" (www.idi-al.de).

Die Auswertung nach idi-al

Neben dem undichten Dach und den defekten Dachrinnen war die Fassade in sehr desolatem Zustand. Nässe und Feuchtigkeit waren durch fehlende oder defekte Abdichtungen an den Decken, Wänden und Fußbödenunübersehbar.

Hohe Ansprüche an ein Bauwerk aus dem Jahr 1878

Sowohl für den Bauherrn als auch für den Architekten galt es nun dieses kulturelle Erbe in angemessener Form zu sanieren und auch zu restaurieren und somit wieder nutzbar zu machen.

Das Nutzungskonzept

Die drei Etagen mit ca. 450 qm Wohn- und Nutzfläche sollten für die weitere Wohnraumnutzung aufgerüstet werden. Im wesentlichen entstanden dabei 4 Wohneinheiten und ein Fitnessbereich im Souterrain. Bei der Planung mußten jedoch weitere Hindernisse berücksichtigtund behoben werden. Insbesondere galt es neben der Trockenlegung und Abdichtungsmaßnahmen die Planung des Dachgeschosses so auszurichten, dass eine Nutzung trotz einer Dachneigung von nur 23% in allen Bereichen möglich sein konnte. Wie war die möglich? Neben einer großen historischen Gaube gab es eine Vielzahl von Dachflächen-fenstern. Zudem wurde das Dach in den vergangenen Jahrzehnten mit einer Bitumenschindeldeckung versehen und entsprach an dieser Stelle nicht mehr dem historischen Vorbild. Ebenso passte der voluminöse Schornstein nicht in das Gesamtbild.

Ohne weitere Dachgauben keine Nutzung

Vor der Frage was nützt die Immobilie, wenn diese nicht allumfassend nutzbar ist, entstand für das Dachgeschoss die Konzeption einer filigranen Dachgaube. Schließlich galt es neben der notwendigen Belichtung auch die entsprechenden Kopfhöhen zu beachten. Die Lösung war eine Alu-Stahl-Glaskonstruktion verbunden mit der "Vakuumdämmplatte" in der Dachebene, wodurch der Dachaufbau um ca. 15 cm geringer gehalten werden konnte.

Ein Terrassenbelag - aber wie?

60 qm Terrassenflächen benötigen einen neuen, zum hisorischen Umfeld passenden Belag. Die  lange Suche hat sich gelohnt: eine 8-eckige, 40mm starke Muschelkalkfliese aus der fränkischen Schweiz verleiht den Terrassen nun das richtige Format. Das handwerklich perfekt rekonstruierte Geländer war am Ende ein Muss und gleichzeitig eine Herausforderung für den Schlosser aus dem benachbarten Kaiserbad Ahlbeck.

Maßnahmenplanung und Denkmalschutz

Zusammen mit dem Bauherrn, der Denkmalschutzbehörde und dem Architekten wurde ein Konzept entwickelt, das im Ergebnis zu folgenden Maßnahmen führte

  • Trockenlegung des Gebäudes im gesamten Sockelbereich
  • Abdichtung und Sanierung der Terrassen
  • Restaurierung der gesamten Stuckfassade
  • Erneuerung bzw. Rekonstruktion der Fenster nach historischem Vorbild
  • Neueindeckung des gesamten Daches mit Naturschiefer
  • Einbau von filigranen Dachgauben, um das DG nutzbar zu machen
  • Dämmung des Daches und der UG-Außenwände sowie der Bodenplatte
  • Erneuerung der Gebäudetechnik sowie Einbau eines Lüftungssystems
  • Regenentwässerung über Rigulen auf dem Grundstück

 

Das energetische Konzept

Die energetischen Möglichkeiten konten nur gemeinsam mit den Fachingenieuren, Bauphysikern, Herstellern uns dem Bauherrn erarbeitet werden. Dabei wurde klar, dass eine Dämmung an den Außenwänden nicht möglich ist. Die gesamte Fassade sowie die Innenwände im EG und das Treppenhaus stehen, wie der übrige Baukörper, unter Denkmalschutz.

Wie sollte das energetische Konzept nun aussehen? Dabei war das Ziel hoch gesteckt: von ca. 51 Liter zum 6 Liter Gebäude.

Bei einem Gebäude, das sowohl innen als auch außen unter Denkmalschutz steht, war es nicht einfach diese Werte zu erreichen. Wie konnte dies trotzdem ermöglicht werden?

Jedes Bauteil musste bauphysikalisch einzeln betrachtet und auf mögliche Dämmarten untersucht werden. Aus den unterschiedlichsten Varianten wurde schließlich folgendes energetisches Maßnahmen-Konzept zur Ausführung festgelegt:

  1. Innendämmung in Verbindung mit einer Klimamembran in DG und UG und der Nachweis für den Tauwasserausfall
  2. Gebäudetechnikmit einer Erdwärmepumpe und Gas-Brennwerttherme,      Flächenheizungssystem an bestimmten Wänden und Fußböden in allen 3 Etagen                                                                                                          Entlüftungssystem mit feuchtegesteuerter Regulierung                               Energiebänke mit Wärmerückgewinnung
  3. Erneuerung der Fenster mit neu U-Wert 1,1

Im Detail wurde dies dann wie folgt umgesetzt:

Dachraum

  • Kombination aus Zwischensparrendämmung mit 200 mm und Untersparrendämmung mit 24 mm
  • Kniestock 100 mm Innendämmung jeweils mit der Vario Klimamembran

Souterrain / Terrassen

Hier wurden verschiedene Innendämmsysteme gewählt, die von 200 mm bis 60 mm reichen. Die Bodenplatte mußte komplett erneuert werden und wurde mit einer Abdichtungsebene versehen. Darüber wurde die Wärmedämmung mit ca. 70 mm eingebaut.

Fenster und Außentüren

Alle Fenster und Türen wurden nach historischen Vorbild neu gebaut. Dies konnte nur mit einem auf solche historischen Bauteilen spezialisierten Handwerkerbetrieb von der Insel Usedom geschehen.

Innovation im Fenster: Intelligente Lüftungssysteme

Es war eine Herausforderung Zu- und Abluftsysteme in eine historische Fassade so zu integrieren, dass diese nicht sichtbar sind. Die Anforderung wurde zusammen mit der BAKA - Projektgruppe "intelligentes Fenster und Lüftung" vorbereitet und von den zwei Herstellerfirmen Sigenia und Aerex umgesetzt. Die gesamte Zuluftführung ist unter den Fensterbänken und somit nicht sichtbar.

Qualitätssicherung mit Blower-Door-Messung und Thermographie

Luftdichtigkeit als Basis für ein funktionierendes Klimasystem kann nur durch die permanente Kontrolle während der Bauzeit garantiert werden. Die Leckortung erfolgte so mit Hilfe der Thermographie und der Blower-Door-Messung als B-Messung und als Abschlussmessung mit dem Ergebnis < 1,5 Luftwechselrate. Die Forderung lt. EnEV sind erfüllt.

 Einsparungspotential als Umweltbeitrag: - 65% CO2

Mit diesem Gesamtkonzept werden über 88% Energie eingespart. Das bedeutet am Ende pro Jahr erheblich weniger Energiebedarf. Der CO2-Ausstoß wird dabei auch noch um 65% reduziert.

Lebensraum neu in historischem Ambiente

Villa Seeblick im Kaiserbad Heringsdorf lädt ein zu neuem Wohn- und Wohlgefühl. Eine Baugeschichte zwischen 1878 und 2005 darf sich zeigen und rechnet sich am Ende mit einem 6 Liter - Verbrauch allemal.

 

 

Artikel von Ulrich Zink, freier Architekt Berlin (redaktionelle Anpassung für die Homepage)

Hinweis:

Vorstellung des Projektes anläßlich des Denkmalkongresses in Dresden als Kolloqium am 10. September 2005

Auszeichnung Bauphysikpreis 2006

Blower Door Test

Dach und Gauben

Die Heizung

Die Terrassen